Internationales Scheidungsrecht

Eine Scheidung hat einen Auslandsbezug, wenn zumindest einer der Ehegatten eine ausländische Staatsangehörigkeit hat oder sein gewöhnlicher Aufenthalt im Ausland liegt.

Dann stellt sich z. B. die Frage, welches Scheidungsrecht anzuwenden ist, und ob eine Scheidung, die in Deutschland erfolgte, in anderen Mitgliedsstaaten der EU, z. B. Österreich, oder in Drittstaaten wie der Schweiz oder Liechtenstein anerkannt wird. Zunächst aber ist immer zu prüfen, ob die deutschen Gerichte überhaupt zuständig sind.

1) Internationale Zuständigkeit

Aus Sicht eines deutschen Gerichts ist hier vor allem die EuEheVO maßgeblich, die Europäische Eheverordnung, die auch als Brüssel IIb-VO bezeichnet wird.

Der vollständige Name dieser Verordnung ist sehr viel länger und lässt bereits erkennen, was in ihr geregelt ist: "Verordnung (EU) 2019/111 des Rates über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen."

Die Brüssel IIb-VO gilt für Scheidungsverfahren, die ab dem 01.08.2022 eingeleitet wurden, ihre Vorgängerin, die Brüssel IIa-VO, die ab 01.03.2005 galt, ist nur noch bei Altfällen von Bedeutung, etwa für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Verfahren, die bis 31.07.2022 eingeleitet wurden.

Die Brüssel IIb-VO gilt in allen EU-Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Dänemark und seit 01.01.2021 auch nicht mehr im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland.

Alle anderen EU-Mitgliedstaaten wenden die EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO an, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, auch in Scheidungsverfahren, an denen nur Nicht-EU-Bürger beteiligt sind, wie z. B. zwei Schweizer, oder in denen die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Staaten haben, die nicht der Europäischen Union angehören. Die EuEheVO wird universell angewendet, ein spezieller EU-Bezug ist also nicht erforderlich.

Ob die Brüssel IIb-VO auch für die Scheidung einer gleichgeschlechtlichen Ehe gilt, ist nicht sicher, weil sie den Begriff "Ehe" nicht definiert. Bisher scheinen die Gerichte in den meisten EU-Mitgliedstaaten von der traditionellen Ehe auszugehen. Was die internationale Zuständigkeit angeht, wäre für die Scheidung gleichgeschlechtlicher Ehen dann nicht das europäische, sondern das jeweilige nationale Zivilverfahrensrecht maßgeblich, in Deutschland wäre § 98 FamFG einschlägig.

Für die Aufhebung eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, die in Deutschland seit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zum 01.10.2017 nicht mehr neu begründet werden können, gilt die EuEheVO in keinem Fall, hier richtet sich die internationale Zuständigkeit nach § 103 FamFG.

In Deutschland werden im Scheidungsverfahren häufig noch weitere Gegenstände geregelt, sei es, weil das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt, wie beim Versorgungsausgleich, oder weil die Ehegatten es beantragen, z. B. in Bezug auf den nachehelichen Unterhalt oder das Güterrecht. Ob das Gericht auch für diese Folgesachen international zuständig ist, muss jeweils gesondert geprüft werden, die EuEheVO erfasst nur die Scheidung als solche sowie bestimmte Kindschaftssachen.

2) Die einzelnen Anknüpfungspunkte

Dass ein deutsches Gericht für ein Scheidungsverfahren international zuständig ist, ergibt sich in der Regel schon aus Art. 3 EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO.

Dort finden sich sieben gleichrangige Alternativen, es reicht, wenn eine der dort beschriebenen Konstellationen vorliegt, eine bestimmte Prüfungsreihenfolge ist nicht einzuhalten. 

Die ersten sechs knüpfen jeweils an den gewöhnlichen Aufenthalt eines oder beider Ehegatten an, teilweise auch daran, ob nur ein Ehegatte oder beide den Antrag stellen, oder ob der Antragsteller die Staatsangehörigkeit des EU-Mitgliedstaats besitzt, in dem sich das angerufene Gericht befindet.

Beispiel 1: Die Ehegatten hatten womöglich eine Zeitlang im Ausland gelebt, nun leben beide in Deutschland, z. B. einer in München und einer in Köln, die deutschen Gerichte sind für das Scheidungsverfahren international zuständig (welches Gericht innerhalb von Deutschland zuständig ist, muss separat geprüft werden).

Beispiel 2: Beide lebten zunächst in Deutschland, einer von ihnen blieb hier, der andere zog ins Ausland - auch hier sind die deutschen Gerichte international zuständig.

Beispiel 3: Der Antragsteller lebt im Ausland, der Antragsgegner in Deutschland - die deutschen Gerichte sind zuständig.

Beispiel 4: Einer der Ehegatten lebt in Deutschland, der andere im Ausland, Variante 1: beide beantragen unabhängig von einander, aber beide aus demselben Grund die Scheidung, Variante 2: der eine Ehegatte beantragt sie, der andere stimmt lediglich zu - in beiden Varianten sind die deutschen Gerichte zuständig.

Beispiel 5: Die Ehegatten lebten im Ausland, einer von ihnen zieht nach Deutschland und reicht hier nach einem Jahr die Scheidung ein - die deutschen Gerichte sind zuständig.

Beispiel 6: Beide lebten im Ausland, einer von ihnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, zieht nach Deutschland und reicht hier sechs Monate später die Scheidung ein, auch hier sind die deutschen Gerichte zuständig, aufgrund der deutschen Staatsangehörigkeit des Antragstellers ein halbes Jahr früher als in Beispiel 5.

Beispiel 7: Jeder von ihnen besitzt zumindest auch die deutsche Staatsangehörigkeit - die deutschen Gerichte sind zuständig, selbst wenn beide Ehegatten im Ausland leben oder sie mit einem anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie ebenfalls besitzen, aufgrund der persönlichen Lebensumstände enger verbunden sind.

Für alle Beispiele gilt: Wenn die deutschen Gerichte einmal zuständig waren und die Antragsschrift an den anderen Ehegatten zugestellt worden ist, bleibt die Zuständigkeit erhalten, auch wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt verlegen, z. B. wieder ins Ausland ziehen, oder ihre Staatsangehörigkeit wechseln.

3) Parallelverfahren in zwei EU-Mitgliedstaaten

Aufgrund der Gleichrangigkeit dieser sieben Alternativen kann es passieren, dass Gerichte verschiedener EU-Mitgliedstaaten in derselben Ehesache international zuständig sind.

Ehegatten bleibt dann die Wahl, in welchem der prinzipiell zuständigen EU-Mitgliedstaaten sie ein Scheidungsverfahren einleiten. Dabei kann es zu doppelten Verfahren kommen, entweder weil der eine Ehegatte noch nichts von dem anderen Verfahren weiß oder weil er ihm bewusst zuvorkommen will, um sich Vorteile zu verschaffen.

Beispiel: Der Ehemann besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, sie die deutsche, beide lebten zuletzt in Deutschland. Nach der Trennung kehrt er nach Österreich zurück, sie bleibt in Deutschland. Er könnte frühestens nach sechs Monaten in Österreich ein Scheidungsverfahren einleiten (Art. 3 lit. a (vi) EuEheVO). Die Ehefrau ist daran interessiert, das Verfahren in Deutschland durchzuführen, das kann sie erreichen, wenn sie ihn "überholt" und ihren Antrag früher einreicht (Art. 3 lit (ii) EuEheVO).

Sobald das später angerufene Gericht erfährt, dass in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits ein Scheidungsverfahren anhängig sein könnte, wird es sein Verfahren aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist (Art. 20 Abs. 1 EuEheVO). Die Aussetzung selbst ist nicht in der EuEheVO geregelt, für sie gelten die Vorschriften des nationalen Prozessrechts, in Deutschland wäre es § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG in Verbindung mit § 148 ZPO analog.

Das später angerufene Gericht hat nicht zu prüfen, ob die in dem anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung anzuerkennen ist, nach Art. 30 Abs. 1 EuEheVO sind in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen in allen anderen Mitgliedstaaten ohne ein besonderes Verfahren anzuerkennen.

Wenn es den Ehegatten wichtig ist, dem jeweils anderen zuvorzukommen, kann es auf den genauen Zeitpunkt ankommen, zu dem die beiden Verfahren eingeleitet wurden:

Nach deutschen Prozessrecht ist grundsätzlich "Rechtshängigkeit" erforderlich (§ 261 Abs. 1 ZPO), und die entsteht nicht schon mit der Einreichung der Antragsschrift beim Gericht, sondern erst mit ihrer Zustellung an den Antragsgegner (§ 253 Abs. 1 ZPO). Dabei kann es gerade bei Verfahren mit Auslandsbezug zu Verzögerungen kommen.

Unter der Geltung der EuEheVO ist es für den Antragsteller leichter, hier genügt bereits die "Anrufung" des Gerichts, und sie richtet sich nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht, sondern wird in Art. 17 lit. a EuEheVO autonom definiert. Danach gilt ein Gericht als angerufen, sobald die Antragsschrift bei Gericht eingereicht wurde, und das erfolgt heute oft elektronisch, etwa in Deutschland durch den mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens beauftragten Rechtsanwalt.

Auf diese Weise lässt sich im Nachhinein häufig auf die Minute genau feststellen, welche der beiden Antragsschriften früher eingereicht wurde.

4) Parallelverfahren in einem EU- und einem Nicht-EU-Mitgliedstaat

Wird das eine Scheidungsverfahren in einem EU-Mitgliedstaat eingeleitet und das andere in einem Drittstaat, wie z. B. der Schweiz oder Liechtenstein, lässt sich die Konkurrenz selbst aus deutscher Sicht nicht über Art. 20 EuEheVO auflösen, weil diese Norm ausdrücklich von "verschiedenen (EU-)Mitgliedstaaten" spricht.

Ein deutsches Gericht müsste in einem solchen Fall prüfen, ob die Voraussetzungen der "Rechtshängigkeitssperre" nach § 261 Abs. 3 ZPO erfüllt sind, danach kann eine Streitsache während der Dauer der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Diese "Rechtshängigkeit" setzt im deutschem Recht wie gesagt mehr voraus als die bloße Anrufung des Gerichts, sie tritt erst ein, wenn die Antragsschrift an den Antragsgegner zugestellt wurde (§ 253 Abs. 1 ZPO).

Dieses deutsche Verständnis von "Rechtshängigkeit" darf nun aber nicht einfach auf Verfahren in Drittstaaten wie z. B. der Schweiz übertragen werden. Das deutsche Gericht muss vielmehr in Erfahrung bringen, was das jeweilige ausländische Recht für den Eintritt von Rechtshängigkeit verlangt. Das lässt sich am Leichtesten an einem konkreten Fall zeigen, bei dem der deutsche Bundesgerichtshof in Bezug auf zwei konkurrierende Scheidungsverfahren in der Schweiz und Deutschland zu entscheiden hatte.

Die Ehegatten hatten in der Schweiz geheiratet und dort gelebt, der Ehemann war Deutscher, die Ehefrau Schweizerin. Nach der Trennung kehrte er nach Deutschland zurück und reichte am 14.08.1984 beim Familiengericht in Köln einen Scheidungsantrag ein. Nach damaligen deutschem Recht waren die deutschen Gerichte international zuständig, weil der Ehemann die deutsche Staatsangehörigkeit besaß. Erst am 16.10.1984 konnte sein Scheidungsantrag an die in der Schweiz lebende Ehefrau zugestellt werden.

Sie hatte währenddessen in der Schweiz ebenfalls einen Scheidungsantrag eingereicht, am 03.09.1984 beim Kantonsgericht Zug. Das nahm das Familiengericht in Köln zum Anlass, den Scheidungsantrag des Ehemannes als unzulässig zurückzuweisen, das Scheidungsverfahren in der Schweiz sei früher eingeleitet worden.

Der Ehemann wehrte sich und zog die Sache bis zum Bundesgerichtshof, im Ergebnis ohne Erfolg (BGH, 18.03.1987, IVb ZR 24/86):

Ob und wann Rechtshängigkeit im Ausland eingetreten sei, sei nach dem Verfahrensrecht des ausländischen Gerichts zu beurteilen. Damit werde die Frage, bei welchem Gericht die Sache zuerst rechtshängig geworden sei, von beiden Gerichten gleich beantwortet ("internationaler Entscheidungsgleichklang"). Das wiederum diene dem Ziel, eine Partei vor der "Belästigung durch einen zweiten Prozess zu bewahren und widersprechende Gerichtsentscheidungen zu vermeiden."

Für das von der Ehefrau eingeleitete Scheidungsverfahren sei das Prozessrecht des Kantons Zug maßgeblich, und danach trete Rechtshängigkeit bereits mit der Einreichung des Scheidungsantrags beim Kantonsgericht ein. Auch die übrigen Voraussetzungen der deutschen "Rechtshängigkeitssperre" seien erfüllt:

Sie verlange zusätzlich die Identität der Parteien und des Streitgegenstandes (§ 261 Abs. 3 Satz 1 ZPO), beides sei gegeben: in beiden Verfahren gehe es um die Scheidung der Ehe, die wechselnden Parteirollen - in der Schweiz sei sie Antragstellerin, in Deutschland er Antragsteller -, seien unbeachtlich.

Der letzte Punkt, den der Bundesgerichtshof zu prüfen hatte, war die "positive Anerkennungsprognose". Dabei ist zu fragen, ob die zu erwartende schweizerische Entscheidung in Deutschland voraussichtlich anzuerkennen sei. Bezogen auf die Schweiz standen damals zwei Maßstäbe zur Verfügung:

Zum einen das am 02.11.1929 geschlossene und jeweils am 01.12.1930 in Kraft getretene "Abkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen" (Deutsch-Schweizer Abkommen), und zum anderen § 328 ZPO, der aus deutscher Sicht regelt, wann die Anerkennung einer Entscheidung eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen ist.

Dabei sei in erster Linie auf das Abkommen abzustellen, das autonome deutsche Anerkennungsrecht greife aber auffangweise ein, wenn es sich im Vergleich zum Abkommensrecht als "anerkennungsfreudiger" erweise. Solche Abkommen sollten der Erleichterung, nicht der Erschwerung der Anerkennung dienen.

Art. 3 des Deutsch-Schweizer Abkommens verlange, dass Schweizer Gerichte nach deutschem Recht - spiegelbildlich betrachtet - international zuständig seien. Das sei der Fall, weil die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt in der Schweiz gehabt hätten. Das entsprach dem damaligen deutschen Zivilprozessrecht, wonach auch deutsche Gerichte in Ehesachen zuständig waren, wenn beide Ehegatten "ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland" hatten (§ 606a Abs. 1 Nr. 2 ZPO aF).

Dass die Schweizer Entscheidung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 des Deutsch-Schweizer Abkommens gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstoße, sei nicht zu erwarten.

Die Anerkennung könne auch nicht an Art. 4 Abs. 3 des Deutsch-Schweizer Abkommens (Beteiligungsrechte des Beklagten) scheitern, da sich der in Deutschland lebende Ehemann sowohl selbst als auch über seinen in der Schweiz ansässigen Rechtsanwalt auf das dortige Scheidungsverfahren eingelassen habe.

Zu erwägen sei allenfalls, ob das Schweizer Gericht im Sinne von Art. 4 Abs. 2 des Deutsch-Schweizer Abkommens zum Nachteil des Ehemannes andere als nach deutschem Recht anzuwendende Gesetze zugrunde lege. Eine solche kollisionsrechtliche Benachteiligung könne aber dahinstehen, weil auffangweise auf das autonome deutsche Anerkennungsrecht, also auf § 328 ZPO zurückzugreifen sei, der eine vergleichbare Anerkennungsschranke jedenfalls heute nicht mehr kenne.

Nach alledem stehe einem Scheidungsverfahren in Deutschland die Rechtshängigkeit der Scheidungssache bei einem Schweizer Gericht entgegen.

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Familienrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)