Wer den Erblasser pflegt, kann mehr erwarten

In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Personen mehr als verdoppelt, waren es 1999 noch zwei Millionen, sind es inzwischen über fünf Millionen.

Davon werden nur 28% stationär oder teilstationär versorgt, 72% werden zu Hause gepflegt, davon 51% allein von ihren Angehörigen und 21% ergänzend oder ausschließlich von ambulanten Pflegediensten (Demografieportal). Ohne die private Pflege durch Angehörige würde das Pflegesystem nicht funktionieren.

Hat der Pflegebedürftige mehrere Kinder, wäre eigentlich zu erwarten, dass sich die Kinder abwechseln, indem das eine vielleicht nur unter der Woche pflegt, das andere dafür am Wochenende und das dritte Kind vielleicht während eines mehrwöchigen Urlaubs, damit die anderen beiden mal pausieren können.

In der Praxis sieht es oft anders aus: Das eine Kind wohnt in der Nähe, es schaut zunächst nur hin und wieder bei den Eltern vorbei, seine Besuche werden mit der Zeit zur Routine, die Eltern werden hilfsbedürftiger und irgendwann auch pflegebedürftig - das betreffende Kind wird seine Aufgabe nicht mehr los.

Spätestens wenn der letzte Elternteil verstorben ist, und es an die Verteilung des Nachlasses geht, tauchen die anderen Geschwister wieder auf - und es stellt sich die Frage, ob das von dem pflegenden Kind erbrachte Opfer - Kraft, Zeit und Lebensqualität - berücksichtigt werden sollte, und wenn ja, wie.

1) Ausgleichung von besonderen Leistungen

Der Gesetzgeber hat die Frage für sich beantwortet, jedenfalls was die Pflege durch "Abkömmlinge" betrifft, also die Kinder des Erblassers; bei der Pflege durch andere Angehörige, wie den Ehegatten, den Lebensgefährten oder die Geschwister des Verstorbenen, fehlt es bis heute an gesetzlichen Regelungen.

Die Pflege durch ein Kind wird über § 2057a BGB berücksichtigt, danach kann, wenn es über längere Zeit durch "Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers" dessen Vermögen "in besonderem Maße" erhalten oder vermehrt hat, eine Ausgleichung verlangen - von seinen Geschwistern. Diese Norm existiert schon seit 1969, sie hatte damals einen anderen Hintergrund, eine alternde Gesellschaft und stetig steigende Pflegekosten hatte seinerzeit keiner im Blick. Heute ist nicht mehr die Mitarbeit im Geschäft des Erblassers der Hauptanwendungsfall der Norm, sondern ein kleiner Zusatz in § 2057a Abs. 1 Satz 2 BGB, der aktuell wie folgt lautet:

"Dies gilt auch für einen Abkömmling, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat."

2) Nicht nur bei gesetzlicher Erbfolge

Wer den ersten Satz des § 2057a Abs. 1 BGB liest, könnte annehmen, der Anwendungsbereich sei begrenzt, dort heißt es, das betreffende Kind könne eine "Ausgleichung unter den Abkömmlingen verlangt werden, die mit ihm als gesetzliche Erben zur Erbfolge gelangen". Eine Ausgleichung kann aber in gleicher Weise verlangt werden, wenn der Erblasser in einem Testament die gesetzlichen Erbquoten übernimmt, seinen Kindern also das zuwendet, was sie als gesetzliche Erben erhielten (§ 2052 BGB).

Das Ausgleichungsrecht besteht sogar dann, wenn der Erblasser etwas völlig anderes verfügt, als es das Gesetz bei der gesetzlichen Erbfolge vorsieht, indem er zum Beispiel eines seiner Kinder durch Testament zum Alleinerben bestimmt, und damit alle anderen Kinder enterbt. Diese bleiben pflichtteilsberechtigt, können also von dem alleinerbenden Kind einen Geldbetrag in Höhe der Hälfte des Wertes ihres gesetzlichen Erbteils verlangen (§ 2303 Abs. 1 BGB).

Das ist aber nicht alles, die Pflegeleistungen fallen selbst bei einer Enterbung nicht unter den Tisch: der Pflichtteil bemisst sich nämlich nach dem, was auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten entfallen würde (§ 2316 Abs. 1 Satz 1 BGB). Noch einmal: der gesetzliche Erbteil ist immer die Grundlage für die Berechnung des Pflichtteils, diese Grundlage steht aber nicht von vornherein fest, sie kann durch Pflegeleistungen verändert werden.

Wichtig: Diese Veränderung kann in beide Richtungen wirken, sowohl zugunsten des pflegenden, aber enterbten Kindes, als auch des alleinerbenden Kindes, das den Erblasser vor seinem Tod über einen längeren Zeitraum gepflegt hat. Auf den Punkt gebracht: Wer pflegt, bekommt mehr!

3) Berliner Testament: zweifache Pflege denkbar

Wenn sich Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben einsetzen und bestimmen, dass ihr Nachlass nach dem Tod des zuletzt sterbenden Ehegatten an einen Dritten fallen soll, so ist in der Regel anzunehmen, dass dieser Dritte erst beim Tod des zweiten Ehegatten erben soll. Wenn der Dritte ein Kind der Ehegatten ist, muss es sich also womöglich einige Zeit gedulden, bevor es erbt, beim Tod des zuerst sterbenden Ehegatten bekommt es nichts, es ist enterbt!

Haben Ehegatten mehrere Kinder, und war ein Elternteil vor seinem Tod pflegebedürftig, kann das Kind, das die Pflege übernommen hat, eine Ausgleichung verlangen.

Waren beide Elternteile pflegebedürftig, sei es parallel oder erst nur der eine, und später der andere, ist beides zu berücksichtigen, das Gesetz spricht von "Erblasser", und das ist beim Berliner Testament sowohl der zuerst als auch der zuletzt sterbende Ehegatte. Dabei sind nun verschiedene Konstellationen denkbar: es kann dasselbe Kind gewesen sein, das beide Elternteile pflegte, es kann aber auch mal das eine und mal das andere Kind gewesen sein.

Hatten die Eltern nur eines der Kinder zum Schlusserben bestimmt, das andere also enterbt, können gleichwohl beide Kinder ausgleichungsberechtigt sein, das alleinerbende Kind und das pflichtteilsberechtigte Kind, sofern von beiden Kindern Pflegeleistungen erbracht wurden.

4) Was sind Pflegeleistungen?

Wer einen Elternteil über längere Zeit betreut hat, könnte sich fragen, ob das, was er für den späteren Erblasser geleistet hat, als "Pflege" anerkannt wird.

Die Gerichte sind in diesem Punkt in der Regel großzügig: die Pflege durch Angehörige muss nicht das Niveau erreichen, das von professionellen Pflegediensten erwartet wird, es ist keine medizinische Pflege erforderlich, also nicht das, was eine examinierte Fachkraft zu leisten vermag. Das Gesetz selbst liefert erste Anhaltspunkte, es erwähnt nämlich zunächst die "Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft", und ergänzt sodann: "dies gilt auch, (wenn) der Erblasser längere Zeit gepflegt" wurde.

Wenn die Pflege der "Mitarbeit im Haushalt" gleichgestellt wird, müssen - so die Rechtsprechung - auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten genügen, wie Einkaufen, Kochen, Spülen, Putzen, Wechseln und Waschen der Kleidung. Daneben orientieren sich die Gerichte an den Kriterien für die Feststellung von Pflegebedürftigkeit im Sinne der Pflegeversicherung: der § 14 SGB XI liefert unter den Schlagworten "Mobilität", "Selbstversorgung" und "Gestaltung des Alltagslebens" zahlreiche Beispiele.

Noch einfacher ist es, wenn dem Erblasser von seiner Pflegeversicherung eine "Pflegestufe" (bis 2016) oder ein "Pflegegrad" (seit 2017) bescheinigt worden war: in den Gutachten ist oft minutiös aufgeführt, wo Hilfe erforderlich war, und inwieweit er auf Unterstützung von Angehörigen zurückgreifen konnte.

Einige Gerichte gehen noch einen Schritt weiter, sie verweisen auf den Sinn und Zweck des § 2057a BGB: er solle eine Heimunterbringung so lange wie möglich vermeiden, deshalb sei schon die "bloße Anwesenheit des Abkömmlings als Teil der Pflegeleistung anzusehen", das Kind werfe nämlich fortlaufend ein Auge auf den pflegebedürftigen Elternteil, stehe für Gespräche zur Verfügung, und könne im Notfall medizinische Hilfe organisieren (OLG Schleswig, 22.11.2016, 3 U 25/16).

Was ist mit Schwiegerkindern? Das Gesetz spricht von der Pflege durch Abkömmlinge des Erblassers, das sind Kinder, Enkel, Urenkel usw., nicht aber deren Ehegatten. Es spricht aber viel dafür, die Familie des Abkömmlings als Einheit zu betrachten: wenn es dem Abkömmling erlaubt sein soll, sich durch bezahlte Hilfskräfte unterstützen zu lassen, sollte dies erst recht gelten, wenn es eine dem Erblasser vertraute Person aus der eigenen Familie war, die sich an der Pflege beteiligte.

5) Erheblicher Zeitaufwand

Es soll nur der einen Ausgleich erhalten, der über das übliche Maß hinaus für den Erblasser tätig gewesen ist. Was üblich ist, sagt das Gesetz nicht, es spricht bezogen auf die Pflege von einem Einsatz über "längere Zeit". Wurde der pflegebedürftige Elternteil von mehreren seiner Kinder betreut, kommt es nicht darauf an, ob das eine Kind geringfügig mehr als das andere Kind getan hat, es geht vielmehr darum, wessen Einsatz im Vergleich zu dem der anderen besonders hervorsticht.

Ein Beispiel liefert ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aus dem Jahr 2013: dort hatten sich drei Schwestern an der Pflege ihrer Mutter beteiligt, neben ihnen war ein medizinischer Pflegedienst und bei Bedarf eine Hauswirtschaftskraft tätig. Die eine Tochter war Flugbegleiterin und hatte ihre Flüge auf das Wochenende gelegt, um die Mutter unter der Woche pflegen zu können. Die zweite Tochter war deshalb jeweils zum Wochenende angereist, um Pflege und Haushaltsführung zu übernehmen. Die dritte Tochter hatte erklärt, sie sei stets "eingesprungen", wenn ihre beiden Schwestern verhindert gewesen seien, konkreter wurde sie nicht.

Da der Zeitraum der Pflege feststand (über zwei Jahre), und der wöchentliche Zeitaufwand bei Tochter 1 und 2 bestimmbar war (unter der Woche bzw. am Wochenende), legte das Gericht die Ausgleichsbeträge für diese beiden Kinder wie folgt fest: Tochter 1 erhielt 50.000 € mehr als die anderen, Tochter 2 erhielt 5.000 € mehr.

Tochter 3 blieb erfolglos, weil sie vor Gericht nicht angeben konnte, wie häufig und in welchem Umfang sie für die Geschwister "eingesprungen" war.

Was den tatsächlichen Zeitaufwand betraf, unter der Woche bzw. am Wochenende, stellte das Gericht zum einen auf die Aussagen der befragten Zeugen ab, und zum anderen auf die Eingruppierung in bestimmte Pflegestufen. Die Mutter war nach einem halben Jahr von Stufe I in Stufe II gewechselt, und nach zwei weiteren Jahren in Stufe III. Damals legte das Gesetz noch Mindestzeiten fest (täglich 90 Minuten, drei Stunden oder fünf Stunden). Daraus ergebe sich, so das Gericht, "ohne weiteren rechnerischen Nachweis", dass die von Tochter 1 und 2 geleistete Pflege ganz erheblich gewesen sein müsse (OLG Frankfurt, 19.03.2013, 11 U 134/11).

6) Erhalt des Vermögens des Erblassers

Mit dem Ausgleich zwischen Geschwistern soll nicht das "beste" Kind prämiert werden. Es geht im Erbrecht in aller Regel um Geld, genauer: das Vermögen des Erblassers, deshalb ist der persönliche Zeitaufwand vor allem dann relevant, wenn durch ihn "das Vermögen des Erblassers erhalten oder vermehrt wurde", § 2057 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Dahinter steht folgender Gedanke: Wäre der pflegebedürftige Erblasser nicht von seinen Kindern gepflegt worden, hätte ein anderer die Pflege leisten müssen, entweder ein Heim oder ein ambulanter Pflegedienst. In beiden Fällen hätte sich der Erblasser mit seinen laufenden Einkünften oder seinem Vermögen an den Kosten beteiligen müssen, dies hätte zu einer Schmälerung des Nachlassvermögens geführt, und jedes Kind hätte entsprechend weniger erhalten.

Auf die Kosten einer Heimunterbringung wollte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im vorgenannten Beispiel nicht abstellen, weil die Mutter nach Aussage ihrer Töchter unter allen Umständen im eigenen Haus gepflegt werden sollte. Deshalb musste sich das Gericht mit den Kosten einer professionellen häuslichen Pflege beschäftigen:

Wäre eine solche beauftragt worden, hätte die Pflegeversicherung kein "Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen" geleistet, es wären also nicht die laufenden Überweisungen an die Erblasserin geflossen, die aktuell zwischen monatlich 316 € (Pflegegrad 2) und monatlich 901 € (Pflegegrad 5) liegen (§ 37 SGB XI).

Zum anderen wären, so das Gericht, bei Inanspruchnahme eines externen Pflegedienstes zusätzliche Kosten angefallen, weil der "erforderliche Pflege- und Hauswirtschaftsbedarf in keiner Pflegestufe vollständig durch das Pflegegeld abgedeckt werden kann", es wäre also eigenes Vermögen abgeflossen.

Wie hoch der wirtschaftliche Nutzen der familieninternen Pflege war, wollte das Gericht nicht auf den Cent bestimmen, es könne ein "Zuwachs bzw. Erhalt des Erblasservermögens in einer Größenordnung von 20-25.000 €" unterstellt werden, davon sei Tochter 1 "rund 4/5" zuzurechnen, und Tochter 2 "rund 1/5".

7) Weitere Kriterien

Für die Berechnung des Ausgleichungsbetrages gibt es keine feste Formel. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, es sollen vielmehr alle Besonderheiten des Einzelfalls in die Abwägung einfließen können; im Gesetz heißt es, die Ausgleichung sei so zu bemessen, wie es der "Billigkeit" entspreche (§ 2057a Abs. 3 BGB).

Dass der Zeitaufwand des pflegenden Kindes und die dadurch bewirkte Schonung des Nachlassvermögens in jedem Fall eine Rolle spielen, wurde oben bereits gezeigt.

Der wirtschaftliche Vorteil ist aber nicht alles, der Gesetzgeber will auch den immateriellen Wert berücksichtigt sehen, die eine persönliche Pflege durch ein eigenes Kind für den Pflegebedürftigen und späteren Erblasser hat. Die Ausgleichung kann deshalb durchaus höher ausfallen als die konkret errechnete Ersparnis.

In der erwähnten Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main waren nur die fiktiven Kosten eines ambulanten Pflegedienstes berücksichtigt worden, nicht die häufig höheren Kosten einer stationären Pflege; begründet wurde dies mit dem Wunsch der Mutter, bis zum eigenen Tod zuhause zu bleiben.

Das kann nicht immer überzeugen: auch wenn ein pflegebedürftiger Elternteil erklärt hatte, auf keinen Fall in ein Heim zu wollen, darf später durchaus die Frage gestellt werden, ob eine Versorgung durch einen mobilen Pflegedienst überhaupt möglich gewesen wäre. Waren die pflegenden Kinder "rund um die Uhr" im Einsatz, ist auch zu fragen, was für eine professionelle 24-Stunden-Betreuung berechnet worden wäre, deren Kosten können teilweise höher sein als die einer Heimunterbringung.

Deshalb hält das Oberlandesgericht Schleswig die Kosten einer fiktiven stationären Pflege für den häufig passenderen Maßstab: auszugehen sei von Durchschnittswerten, also nicht den Kosten einer besonders luxuriösen Unterbringung. Das Statistische Bundesamt nennt für 2022 für das Bundesgebiet monatlich 2.179 €, Spitzenreiter sei Nordrhein-Westfalen mit monatlich 2.542 € gewesen. Darin sind allerdings auch die deutlich niedrigeren Heimkosten bei Pflegegrad 1 und 2 enthalten, hier wurden Ende 2019 im Durchschnitt zwischen 40 und 52 € pro Tag berechnet (nur Pflege, ohne Unterkunft und Verpflegung), bei Pflegegrad 4 und waren es zwischen 85 und 92 €.

Wer als pflegendes Kind einen Ausgleich verlangt, sollte deshalb immer auf den konkreten Pflegegrad verweisen, und dabei zusätzlich etwaige Höherstufungen berücksichtigen, also zum Beispiel zunächst Einzelberechnungen für verschiedene Zeitabschnitte erstellen, und die so ermittelten Zwischenwerte später addieren.

Eine solche fiktive Berechnung darf aber nicht auf halben Wege stehenbleiben: erfolgte die private Pflege in einem eigenen Haus oder einer Eigentumswohnung des Erblassers, so sind konsequenterweise auch die fiktiven Mieteinnahmen zu berücksichtigen, die sich bei einer Heimunterbringung hätten erzielen lassen. Wäre vor einer fiktiven Vermietung eine Renovierung erforderlich gewesen, so wären deren Kosten wiederum abzuziehen (OLG Schleswig, 15.06.2012, 3 U 28/11).

Wer seinen pflegebedürftigen Elternteil zu sich holt, und die eigene Wohnung zunächst entsprechend umbauen musste, kann die dabei angefallenen Kosten ebenfalls mit ansetzen. Gleiches gilt für Einkommensverluste, die man als Kind während der Pflege in Kauf nahm, Fahrtkosten usw.

8) Wie ist der Ausgleich durchzusetzen?

Der § 2057a BGB soll dem pflegenden Abkömmling dabei behilflich sein, nach Eintritt des Erbfalls einen Ausgleich zu erhalten.

Der Gesetzgeber ist sich bewusst, dass die Pflege der Eltern oft aus familiärer Verbundenheit erfolgt, und die Beteiligten vielfach keine verbindlichen und nachweisbaren Regelungen über einen finanziellen Ausgleich treffen. Außerdem werde von den Pflegebedürftigen häufig versäumt, das an sie ausgezahlte Pflegegeld (§ 37 SGB XI, monatlich 316 € bis 901 €) an die pflegenden Angehörigen weiterzuleiten, obwohl es hierfür gedacht ist (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/8954 vom 24.04.2008, S. 17).

Auch die Gerichte sind in der Regel großzügig, was die Darlegung der geleisteten Pflege durch den Abkömmling angeht, so sei zum Beispiel eine "Aufrechnung aller Einzelposten, die zu unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten führen könnte, nicht erforderlich" (Bundesgerichtshof, 09.12.1992, IV ZR 82/92).

Allerdings sollte die Komplexität der gesetzlichen Regelungen und die Vielzahl der zu berücksichtigenden Kriterien nicht unterschätzt werden. Die oben vorgestellte Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main zeigt, dass es womöglich nicht reicht, wenn ein Kind sagt, es sei "eingesprungen", wenn die Geschwister verhindert waren; hier konnte sich das Gericht kein Bild vom Umfang der Pflegeleistungen machen, die Klage wurde abgewiesen (OLG Frankfurt, 19.03.2013, 11 U 134/11).

Sollte der Nachlass noch nicht auseinandergesetzt sein, kann das betreffende Kind eine Feststellungsklage (§ 256 ZPO) erheben, das etwaige Bestehen einer Ausgleichungspflicht ist nämlich eine Vorfrage der Erbauseinandersetzung. Der Klageantrag könnte zum Beispiel lauten: "Es wird beantragt, festzustellen, dass der Ausgleichungsbetrag x im Rahmen der Erbauseinandersetzung nach dem Erblasser y zugunsten des Abkömmlings z zu berücksichtigen ist." Wer sich bezüglich der Höhe des Ausgleichungsbetrages nicht sicher ist, könnte die Festlegung ins Ermessen des Gerichts stellen, zumal das Gericht die "Billigkeit" (§ 2057a BGB) ohnehin selbst beurteilen muss.

Wer sich bereits einen konkreten Geldbetrag überlegt hat, und diesen lediglich als einen von zahlreichen Berechnungsposten ansieht, könnte auf eine Feststellungsklage verzichten, und sogleich eine Erbauseinandersetzungsklage (§ 2042 BGB) erheben, bei der die angestrebte Verteilung im Klageantrag vorgegeben ist.

Sollte das eigene wirtschaftliche Interesse höher liegen als 5.000 €, wäre nicht mehr das Amtsgericht, sondern das Landgericht zuständig (§ 23 GVG), dort kann das Kind die Klage nicht mehr selbst einreichen, es muss hierfür einen Rechtsanwalt beauftragen, der ihn im gesamten Prozess vertritt (§ 78 ZPO).

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Erbrecht, Mülheimer Str. 85, 47058 Duisburg (Stadtteil Duissern)